„Ihr habt die Uhren, wir haben die Zeit.“ Dieser Weisheit etlicher Naturvölker sind die aufständischen Taliban in Afghanistan in ihrem Kampf gegen die ausländischen Invasoren stets gefolgt. Und jetzt, nach 18-jährigem Zermürbungskrieg am Hindukusch, haben die Islamisten ihr strategisches Ziel fast erreicht: In seinem Drang, die amerikanische Außenpolitik vornehmlich am eignen Nutzen auszurichten, spielt Präsident Donald Trump den Taliban in die Hände. VON RICHARD KIESSLER
Er will die verbliebenen GI’s bis 2020, dem Jahr seiner erhofften Wiederwahl, heimholen. Seinen Sondergesandten, den gebürtigen Afghanen Zalmay Khalilzad, hat Trump damit in eine arge Zeitnot bei den Gesprächen mit den Aufständischen getrieben.
In drei Wochen, am 25. Februar, münden diese seit vergangenem Jahr geknüpften diplomatischen Kontakte zwischen den USA und den Taliban im Wüstenemirat Katar in die entscheidende Phase. Dann übernimmt Mullah Baradar, neben dem legendären Mullah Omar einst Gründer der Taliban, die Verhandlungsführung aufseiten der Aufständischen. Bisher haben die Konfliktparteien allenfalls den Rahmen für die eigentlichen Friedensgespräche abgesteckt: Von Afghanistan soll kein Terror mehr ausgehen, Netzwerke wie der „Islamische Staat“ (IS) oder El Kaida sollen dort keine Basis mehr finden. Die USA werden ihre Streitmacht komplett abziehen. (Alliierte wie die deutsche Bundeswehr würden wohl ebenfalls den Rückzug antreten.) Mit einem Waffenstillstand soll der „innerafghanische Dialog“ über die künftige Machtteilung in dem multiethnischen Staatsgebilde beginnen.
Kann das gutgehen, fragen sich manche Analysten, die Trumps eilige Rückzugspläne für einen Fehler halten und alsbald einen Umsturz der Taliban erwarten. Überdies sitzt die Regierung von Präsident Ashraf Ghani in Doha nicht am Verhandlungstisch, weil die Taliban bislang jeden Kontakt verweigern. Nur eines ist klar: Weder der Westen, der nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme in New York am 9. September 2001 die Taliban von der Regierung in Kabul vertrieb und eine internationale Streitmacht von bis zu 150 000 Soldaten aufbot, um Afghanistan zu befrieden, noch die aufständischen Gotteskrieger konnten den bis heute anhaltenden Bürgerkrieg militärisch für sich entscheiden. Noch alle ausländischen Invasoren sind am Hindukusch gescheitert: Die Briten im 19., die Sowjets im 20. und die Amerikaner im 21. Jahrhundert.
Bleibt die Frage, ob die Uhren in Afghanistan nach 18 Jahren Krieg zurückzudrehen sind. Nicht nur die Taliban sind nicht mehr dieselben wie 2001. Auch die afghanische Gesellschaft lässt sich nicht mehr von der Außenwelt abschotten. Der soziale Wandel hat die gesamte Zivilgesellschaft erfasst – von den Frauenrechten bis zu einem nie gekannten Bildungsniveau, neuen, wenngleich oft schwachen Institutionen und einer trotz allen Widrigkeiten lebhaften Wirtschaft mit zahlreichen aktiven Unternehmern. Ganz zu schweigen von einer jungen Generation, vertraut im Umgang mit den sozialen Netzwerken. Für den Prozess seiner Befriedung wird Afghanistan Zeit brauchen, nicht Monate, sondern Jahre.